Freitag, 15. April 2016

Alltags-Aufregungen



In unserer Welt ist alles so öde geworden: Wir haben Jobs, die uns nicht genug fordern. Wir leben in Beziehungen, die ganz gut, aber nicht perfekt sind. Wir fahren ganz nette Autos. Wir machen schönen Urlaub. Wir essen gut. Und wo wir wohnen, ist auch ganz schön.

So klingt es zumindest oft.

Viele suchen sich deshalb Abwechslung. Aufregendes. Spannendes. Was zum Vor-Aufregung-und-Freude-Einscheißen. Die häufigsten Varianten sind Extremsportarten und Selbstverstümmelungen. Piercings und Tattoos sind längst keine Herausstellungsmerkmale mehr. Sie erscheinen nur noch als Zeichen von zwanghaftem Selbstveränderungsdrang. Die Schmerzen bei der Herstellung der Veränderung werden ertragen, indem Adrenalin und Endorphine ausgeschüttet werden. Suchtrisiko.
Ebenso bei Extremsport. Erst das Adrenalin, dann die Endorphine. Glück pur, nachdem dem Tod mal wieder ein Schnippchen geschlagen wurde.


Wer sich keine Reise zur nächsten Brücke oder in die nächsten Berge leisten kann, um dort Bungee zu springen oder irgendeinen Schirm zu fliegen, muss sich das Adrenalin anders besorgen. Drogen sind manchen auch zu teuer. Oder die Sorge vor Illegalität ist dann doch ein zu großer Adrenalin-Kick.

Leider scheinen sich viele dann ihre Kicks im Straßenerkehr zu holen. Tempo, riskante Manöver, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität. Auch das gehört zum Alltag mittlerweile dazu. Wir werden halt insgesamt immer schneller.

Gegenbewegungen dazu lassen natürlich nicht lange auf sich warten: So sind Slow-Food und Entschleunigung entstanden. Zum Glück gibt es dafür mittlerweile genug Bücher und Seminare, sodass wir das auch mal schnell lernen können. Ach nein: langsam!

Viel leichter wäre es doch, sich einfach mal mit sich selber auseinanderzusetzen. Mit dem Älterwerden. Mit den Macken des eigenen Körpers. Mit den Spleens des eigenen Gehirns.

Klar, viele verlaufen sich bei diesem Vorhaben. Insgesamt können wir uns aber darauf verlassen, dass wir mit uns selber genug Freude haben können, was die Aufregung angeht. Irgendwo schmerzt doch immer was. Irgendwas sieht doch immer scheiße aus. Irgendwie sind wir doch nie perfekt.

Einfach nur normal, langweilig, nett und ganz gut. So, wie unser Leben.

MOOOMENT, mag der ein oder andere rufen, SO SCHLIMM IST ES DOCH AUCH WIEDER NICHT! Immerhin kann ich noch ganz gut Laufen für mein Alter. Und der letzte Urlaub war sooo schön! Und ich habe grad was ganz tolles für die Wohnung gekauft. Und das Essen, das ich letztens hatte, war so toll, das musst Du auch mal probieren! Und die Kinder haben so tolle Zeugnisse! Und meine Frau hat mich letztens mit einem romantischen Star-Wars-Abend überrascht! Und siehst Du, wie schön die Blümchen im Garten aussehen? Und wie schön die Vögel wieder singen! Und der Hund kann schon zwei Kommandos! Und diese Jeans steht mir doch wohl grandios, oder?

Ach was? Und warum nörgelt Ihr dann die ganze Zeit?